Friedensfähig statt kriegstüchtig

Rede während des Friedenskonzertes in der Johanneskirche Stuttgart am 21.5.25 mit Konstantin Wecker und dem Theodorakis Ensembles

Der bevorstehende 100. Geburtstag von Mikis Theodorakis ist uns Anlass, dieses grandiosen Musikers und Friedenskämpfers zu gedenken. Die „Gesellschaft Kultur des Friedens“ hat Jahrzehntelang mit Künstlern und Friedensaktivisten aus ganz Europa zusammengearbeitet, aber Griechenland, seine Künstler, seine Opfer des deutschen Faschismus, seine Flüchtlingsunterkünfte, waren immer ein Schwerpunkt der Aktivitäten. Und es ist verdienstvoll, dass das künstlerische und politische Erbe von Mikis Theodorakis auch nach dem Tod des Initiators Henning Zierock hier weiterhin gepflegt wird. 

Bis ins hohe Alter hat Theodorakis dafür gekämpft, dass militärische Gewalt eingestellt oder besser noch von Anfang an verhindert wird, so u.a. in seiner Erklärung zum Kosovo-Krieg. Er setzte sich dafür ein, dass stattdessen Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der UNO dafür sorgen, dass überall in der Welt Frieden herrschen kann. 

Denn was Krieg bedeutet, hat diese Generation noch leidvoll erfahren. Wehrmacht und SS haben in Griechenland zahllose Massaker verübt, über eine halbe Million Zivilisten und Partisanen kamen ums Leben. Die deutsche Armee hinterließ ein Land in Ruinen, 400 000 zerstörte Häuser, zu 80% zerstörte Straßen, Schienen, Häfen und Brücken. Und obendrauf die Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark. 

Deutschland will kriegstüchtig werden (ein von Göbbels gern gebrauchter Begriff), aber hat noch nicht mal die Reparationsschulden vom letzten Krieg bezahlt. An Griechenland, an Polen und andere überfallene Länder. Selbst die aus seiner Kolonialzeit verweigert es, wie die zum Genozid in Namibia.  

Stattdessen sind sogenannte Sondervermögen in gigantischem Ausmaß plötzlich verfügbar, als müsse man sie nur wie ein Kaninchen aus dem Zauberzylinder hohlen. Dabei besteht der Trick darin zu verschleiern, dass der alte Hut kein Vermögen offenbart, sondern ein Unvermögen. Das Unvermögen, ohne Schulden zu haushalten. Schulden sind immer eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Für Umverteilung von oben nach unten gibt es in unserem „Wertesystem“ allerdings keinen Zauberzylinder. Ein System, das sich nun selbst zu einem „Epochenumbruch“ erhöht.

Die neue Schuldenorgie mag der Logik von Black Rock entsprechen. Doch ist sie für den Sozialstaat und das Klima eher ein Black Shock. Ein Hochrisiko Spiel, von dem nur sicher ist, dass es Politik und Gesellschaft weiter nach rechts treiben wird. Je höher die Schulden, je geringer der Spielraum staatlicher Entscheidungen. Die diktieren dann die Kreditgeber. Das geht seinen kapitalistischen Gang. Eine marktkonforme Demokratie reagiert nicht auf Vernunft.

Seit Wegfall des östlichen Militärblocks Warschauer Pakt und dem Übrigbleiben der Nato, sind die Rüstungsausgaben weltweit um 80 Prozent gestiegen. Schon vor den aktuellen Kriegen und Rüstungsplänen war der Gewinn aus dem internationalen Waffenhandel so hoch wie das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung. Was für eine perverse Welt! Krieg ist nicht zuletzt deshalb als Instrument der Politik zurückgekehrt – spätestens mit dem mitten in Europa geführten, völlig überflüssigen, völkerrechtwidrigen Angriffskrieg der Nato gegen Serbien. Einem Verbündeten Russlands. Der angebliche Grund – Verhinderung eines Völkermords – war genauso verlogen wie der Vorwand im Irak-Krieg, nur hat er sich als Rechtfertigung besser gehalten. Dieser Nato-Krieg war die Blaupause für die Missachtung des Völkerrechts im russischen Krieg gegen die Ukraine. Das Konstrukt der humanitären Intervention behauptete, die Guten dürfen angreifen, denn sie tun es ja fürs Gute.

Als pragmatische Pazifistin verurteile ich jeden Krieg. Es gibt keine militärischen Lösungen für politische Probleme – im Krieg verlieren auch die Sieger. Das bestätigen auch die vielen derzeit laufenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Als Essayistin bin ich dennoch gehalten, Vorgeschichte und Mitverantwortung zur Kenntnis zu nehmen. 

Die von der rechtsextremen Regierung Netanjahu befehligte Armee verstößt mit ihrem brutalen Vorgehen in Gaza permanent gegen das Völkerrecht. Sie will die dortigen Palästinenser offensichtlich aushungern, vertreiben, ausbluten. Es gibt kein einziges funktionierendes Krankenhaus in Gazas Trümmerwüste mehr. Die terroristischen Verbrechen der (einst von Israel mitfinanzierten) Hamas und das darauf beruhende Selbstverteidigungsrecht Israels legitimieren ein derart menschenverachtendes Vorgehen nicht. Wer mit Israel solidarisch sein will, muss seinen erbarmungslosen Feldzug kritisieren, mit dem es sich nicht nur im Nahen Osten auf lange Zeit Feinde macht. So, wie es viele Bürger Israels immer wieder tun. „Besser das Leid des Friedens, als das Grauen des Krieges“, sagte der israelische Präsident und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin 1995, bevor er in einem Klima des Hasses ermordet wurde, das damals schon sein Gegner Netanjahu aufgeheizt hat. 

Die Europäische Union sollte, wie ihre Mitgliedsstaaten Spanien und Irland, Palästina als eignen Staat anerkennen. Wie auch ein Verbot von Waffenlieferungen, die die israelische Armee in Gaza einsetzen kann. Das wären klare Signale, um einen Waffenstillstand und die humanitäre Versorgung in Gaza dauerhaft zu gewährleisten und im Gegenzug die Freilassung aller verbliebenen Geiseln. 

Wer Kriege verhindern will, der sollte sie nicht provozieren. Oder anders ausgedrückt: Wer Kriege provoziert, der will sie auch. 

Der jahrelange CIA Chef der Russlandanalyse, George Beebe, hat schon 2019 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Die russische Falle. Wie unser Schattenkrieg mit Russland sich zu einer nuklearen Katastrophe steigern könnte.“ Er beschreibt darin fast drei Jahre vor dem Krieg, wie das permanente Missachten russischer Sicherheitsinteressen und deren immer wieder klar benannter roter Linien wahrscheinlich dazu führen wird, dass Russland sich genötigt sieht, seine aus bitterer historischer Erfahrung gewonnenes, starkes Bedürfnis nach Sicherheit, auch mit Gewalt zu verteidigen. Was der Kreml veranlasse, so der CIA-Mann, seien Reaktionen, nicht Aktionen. Man mag da geteilter Meinung sein, Beebe spricht von seiner, der defensiven Denkschule und der offensiven. Für die Friedensbewegung und somit für mich scheint es mir wichtig, den eignen Anteil am Dilemma zu benennen – auf die andere Seite haben wir noch weniger Einfluss. 

Die Verantwortung für diesen vermeidbar gewesenen Stellvertreterkrieg zu Lasten der geschundenen Ukraine ist jedenfalls nicht nur auf einer Seite zu verorten. Und leider haben sich auch die nach dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Janukovytsch an die Macht gekommenen ukrainischen Regierungen an diesem Schattenkrieg beteiligt, indem sie gegen den Willen der Mehrheitsbevölkerung forciert haben, dass die Ukraine als Quasi-Nato-Mitglied erstmalig zum feindlichen Bollwerk an der russischen Grenze wird.

Drei Kriegsjahre später sind nun endlich wieder direkte Verhandlungen zustande gekommen – was Friedensbewegte von Anfang an gefordert haben. Irrational genug, dass man jetzt auf den wohl unberechenbarsten Präsidenten aller Zeiten Hoffnung setzen muss. Schon nach eineinhalb Stunden konnte 2000 Menschen geholfen werden – wenn man diese Erfolgsrate hochrechnet, gibt es Grund zu Zuversicht. Man wird dort ansetzen müssen, wo die Diplomatie am Anfang ausgebremst wurde. Spätestens beim russischen Entwurf für eine Friedensordnung zwischen den USA und Russland und der Nato vom Dezember 2021, über den hierzulande gar nicht oder bewusst falsch berichtet wurde. Und bei den fast abgeschlossenen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul, die vom britischen Premier Boris Johnson im Auftrag der Nato abrupt unterbunden wurden. 

Vermutlich auch bei einigen Ansätzen aus Minsk 1 und 2. Auch wenn unsere bisherige Außenministerin Baerbock unwissend oder wider besseren Wissens behauptet hat: „Das Minsker Abkommen wurde einseitig vom russischen Präsidenten zertrümmert.“ Was etwa im Deutschlandfunk jetzt zu der Warnung führte, es habe gar keinen Zweck mit Putin zu verhandeln, weil man davon ausgehen müsse, dass er sich an kein Abkommen halten würde. 

Die kaum zu überbietende Russophobie erfindet täglich neue Steigerungsmöglichkeiten. Vertragsparteien in Minsk waren der damalige ukrainische Präsident Poroschenko und Vertreter der Separatisten. Putin verstand sich, wie Merkel und Macron als Vermittler. Russland war kein Vertragspartner, keine Forderung bezieht sich direkt auf es. Sicher hat der Kreml die meist Russisch-sprachigen Separatisten unterstützt, wie die Nato die nach dem Putsch in Kiew Regierenden – Schattenkrieg eben. Aber in Kiew hatte man bis auf den Gefangenen-Austausch nie die Absicht, die Forderungen nach Autonomie für den Donbass in die Verfassung zu schreiben. Und Frankreich und Deutschland haben nicht auf Umsetzung gepocht – Angela Merkel hat später erklärt, warum nicht.

Hinter vorgehaltener Hand sagen mir jetzt gestandene Westjournalisten, sie hätten noch nie eine so einseitige, Fake-getränkte Berichterstattung erlebt wie zur Zeit. Dem kann ich mich anschließen. Einseitig war der DDR-Journalismus auch, aber es gab nicht ein solches Maß an frei erfundenen Unwahrheiten. Außerdem hatten wir den Vorzug, jeden Abend die Nachrichten beider Seiten zu vergleichen, was darin übte, sich eine eigne Meinung zu bilden.  

So fällt doch der Widerspruch auf, wonach die Ukraine einerseits durch weitere Waffenlieferungen ihre Positionen gegenüber einem vermeintlich schwachen Russland verbessern kann, aber andererseits diesem Russland unterstellt wird, stark genug zu sein, um demnächst Nato-Territorium anzugreifen. Also den Nato-Verteidigungsfall auszulösen. Nach einer neuen Greenpeace Studie geben die Nato-Staaten schon jetzt zehn Mal mehr fürs Kriegswesen aus als Russland. Europa nach Schätzungen etwa dreimal mehr. Die technologische und operative Überlegenheit der Nato-Mitglieder ist enorm.  

Ohne eine seriöse Bedrohungsanalyse verbreiten die Regierenden, sekundiert von „europäischen Geheimdiensten“ und Medien, tag ein, tag aus die keines Beweises bedürfende Mär vom nach Europa sprungbereiten, russischen Bären. Dass eine Studie aller US-Dienste schon zu Präsident Bidens Zeiten, als man eigentlich noch an Amerika glaubte, zu dem Schluss kam, dass ein russischer Angriff auf Nato-Gebiet „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen“ ist, bremst den Eifer nicht. Diese geistige Mobilmachung unterschlägt, dass es keine einzige Äußerung von Wladimir Putin gibt, die mit einem solchen Angriff droht. Von Tucker Carlson direkt danach gefragt, antwortete er, wie immer zu diesem Thema: „Völlig ausgeschlossen. Das steht im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Das würde die gesamte Menschheit an den Rand des Untergangs bringen. Das sind nur Gruselgeschichten, um den amerikanischen und europäischen Steuerzahlern für Krieg Geld abzunehmen.“

Als wolle der Westen Putin bestätigen, heißt das neue EU-Ziel nun: Russland im Rüstungswettlauf besiegen. Das sind Denkweisen, die man im vorigen Jahrhundert überwunden glaubte. Frieden ist nicht durch militärische Überlegenheit zu gewinnen. Die Zukunft einer Gesellschaft liegt in Bildung, sozialer Integration, im Gemeinwohl. Im Schutz der Umwelt.
Militärische Sicherheitsgarantien kann niemand geben. „Verteidigungspolitisch Erwachsen werden“ hieße: eine Friedensarchitektur für alle europäische Staaten schaffen. Russland wird auf ewig das größte Land Europas bleiben. Gegen Russland ist kein Frieden erreichbar. Doch die Kriegshysterie hat es geschafft, dass ihr Mehrheiten verfallen sind. Das ist tragisch. Aber nicht neu. 500 Jahre v. Chr. wusste Laotse: „Je mehr Waffen, umso größer das Elend der Menschen. Der Triumph der Gewalt endet stets mit einer Trauerfeier.“

Dies zu vermeiden, müssen wir jetzt, ganz im Sinne von Mikis Theodorakis, dafür Sorge tragen, dass in der entstehenden, multipolaren Welt die UN mit ihrem Völkerrecht und ihrer Diplomatie wieder die Oberhand gewinnt. Die seit über 100 Jahren bestehende Ächtung von Krieg muss eingehalten werden! Die Atomwaffenstaaten sind gefordert, sich den fast 100 Staaten anzuschließen, die bereits den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet haben!

In seiner Schrift Zum ewigen Frieden hat Immanuel Kant ermahnt, dass ein Mindestmaß von „Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes mitten im Kriege noch übrig bleiben muss, weil sonst kein Friede abgeschlossen werden könnte und die Feindseligkeiten in einen Ausrottungskrieg ausschlagen würden“. Arbeiten wir an diesem Mindestmaß.

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