Diese Blockade schadet der ganzen Welt

Daniela Dahn

Kuba Ein Tribunal der Völker verurteilt in Brüssel das US-Embargo gegen den Karibikstaat, das seit sechs Jahrzehnten eine Volkswirtschaft systematisch ruiniert

Unmittelbar nach dem Sieg der Kubanischen Revolution 1959 benannte der US-Außenpolitiker Lester Mallory unumwunden die Strategie seiner Regierung: „Jedes mögliche Mittel sollte unverzüglich ergriffen werden, um das Wirtschaftsleben Kubas zu schwächen, um die Löhne zu senken, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen.“ Seither hält ein in Dauer und Härte geschichtlich beispielloser Wirtschaftskrieg an. Alle unter 60-Jährigen, also 80 Prozent der heutigen Kubaner, haben nie ein Leben ohne Blockade erlebt. Die angelaufenen Embargo-Schäden werden mittlerweile auf 160 Milliarden US-Dollar beziffert. Das ist nicht Statistik, sondern musste mit Einbußen an Lebensstandard von den Kubanern bezahlt werden.

Als Vorwand für die Strafmaßnahmen gilt die revolutionäre Verstaatlichung von Großgrund- und Immobilienbesitz, den sich US-Bürger wie auch immer angeeignet hatten – im Wert von etwa einer Milliarde Dollar. Gemessen an den Schäden der Blockade eine lächerliche Summe. Zumal Kuba eine über 20 Jahre abzuzahlende Entschädigung angeboten hatte, was abgelehnt wurde, während Spanien und Frankreich darauf eingegangen sind. Übrigens haben heute in Kanada lebende Nachkommen britischer Loyalisten nicht ohne Hohn in ihrem Unterhaus einen Gesetzentwurf eingebracht, der Entschädigung fordert für die Beschlagnahme von Eigentum ihrer Vorfahren während der Amerikanischen Revolution. Doppeltes Maß ist immer einfaches Unrecht.

Keine Spritzen zum Impfen

Lange Zeit wurde Kuba einigermaßen aufgefangen durch die Hilfe der Sowjetunion. Als diese nach deren Ende wegfiel, ging das Land durch ein tiefes Tal, stieg aber aus eigener Kraft wieder auf. Der Tourismus nahm an Fahrt auf, die legendäre kubanische Medizin erreichte in einigen Positionen wieder Weltspitze. So hat Kuba die höchste Ärztedichte pro Einwohner weltweit (Deutschland liegt auf Platz 19 mit fast nur der Hälfte dieser Ärztepräsenz). Zu ganz speziellen Augenoperationen reisten Patienten aus aller Welt nach Havanna. Unter Barack Obama schien sich der Konflikt ein wenig zu entspannen.

Doch Donald Trump verschärfte ihn mit 243 zusätzlichen Sanktionen, setzte Kuba wieder auf die US-Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten. Was zu begründen nie für nötig befunden wurde, bis auf den irrwitzigen Hinweis, Kuba habe sich beteiligt an den langwierigen Friedensgesprächen zwischen Kolumbiens linken Rebellen und rechten Militärs. Wessen sich allerdings auch Norwegen, Spanien und Deutschland wiederholt schuldig gemacht haben. Selbst während der Pandemie durften weder Öl noch Beatmungsgeräte geliefert werden. Kuba entwickelte drei eigene Impfstoffe, hatte aber zeitweilig Schwierigkeiten, diese zu nutzen,

Der Onkologe Franco Cavalli aus der Schweiz erklärte dazu in Brüssel, dass bei dieser Art von Krebs bei Gabe der nötigen Medikamente normalerweise nicht amputiert werden muss, sondern eine Knochenimplantation gute Ergebnisse bringt. Aber diese Medikamente seien eben unerlässlich. Wie sie es für all die Kinder waren, die in letzter Zeit in kubanischen Krankenhäusern ihr Leben an den Krebs verloren haben. Auch in Kuba sterben Kinder einen vermeidbaren Tod. Im Namen einer falschen Freiheit.

Die Ankläger und Zeugen des Tribunals erbrachten hinreichend Beweise für die menschenrechtswidrige Praxis der Blockade. Nun hatten die Richter ein Urteil zu fällen – fünf ausgewiesene Rechtstheoretiker aus den USA, Italien, Griechenland und Portugal unter Leitung des Hamburger Völkerrechtlers Norman Paech. Als einzige Nichtjuristin in diesem Gremium hatte ich die schreibende Zunft zu vertreten. Wir zogen uns zur Beratung zurück.

Dass es für die Blockade keine Rechtsgrundlage gibt, war offensichtlich. Eine UN-Resolution vom 14. Dezember 1962 bekräftigte mit dem Grundsatz der Souveränität das Recht jedes Staates, über seine natürlichen Ressourcen selbst zu verfügen. Zumal die Sanktionen nicht auf Restitution oder Entschädigung gerichtet sind, sondern auf den Sturz der Regierung. Damit verletzen sie zahlreiche Menschenrechte, besonders die des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die nicht weniger verbindlich sind als die politischen Rechte.

Die Sanktionen müssen aufgehoben werden

Selbst wenn die beteiligten Staaten und die EU diesen UN-Pakt nicht ratifiziert haben, besteht in der internationalen Rechtstheorie Konsens, dass er durch Gewohnheitsrecht für alle verbindlich ist. Verletzt werden auch grundlegende Bestimmungen des WTO-Handelsrechts, dem die USA beigetreten sind. Es verbietet die Beschränkung von Ein- und Ausfuhren und Geldtransfers. Ausnahmen wegen Sicherheitsinteressen entfallen, da Kuba die USA nicht bedroht. Die UN-Generalversammlung hat wiederholt das US-Helms-Burton-Gesetz kritisiert, das auch in die legitimen Interessen anderer Staaten eingreift. Die Europäische Union hat solche Gesetze 1996 sogar für nichtig erklärt und einen Anspruch auf Verlustausgleich verfügt, sich dann aber der Übermacht gebeugt.

Die Blockade sei eine der heimtückischsten Formen der Kriegsführung, heißt es im vor dem Tribunal verlesenen Urteil, sie erfülle den Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sie habe direkt oder indirekt zum Verlust zahlreicher Menschenleben geführt und sei darauf ausgelegt, langfristig die physische Zerstörung eines Teils des kubanischen Volkes in Kauf zu nehmen. „Eine solche Haltung könnte den Tatbestand des Völkermordes erfüllen.“ Über diese vorsichtige Formulierung haben wir Richter am längsten diskutiert. Sachlichkeit und Gesetzestreue waren oberstes Gebot.

Das Strafmaß lautete: Die rechtswidrigen Sanktionen und die ihnen zugrunde liegenden Gesetze müssen aufgehoben werden. Die USA müssen für den Schaden aufkommen, der dem kubanischen Staat, seinen Unternehmen und Bürgern entstanden ist. Der Beifall im Auditorium bezeugte, dass es mehr als Symbolik sein wird. Die Kubaner sind ermutigt worden, und die USA stehen erneut isoliert vor der Öffentlichkeit da. Eines Tages werden sie sich das nicht mehr leisten können.

erschienen in der Freitag | Nr. 48 |30. November 2023