Vom Geheimnis der Gesellschaft. Was würde August Bebel zu unserem Verhältnis von Staat und Eigentum sagen?

Vom Geheimnis der Gesellschaft
Was würde Bebel zu unserem Verhältnis von Staat und Eigentum sagen?

Gibt man in Suchmaschinen die Begriffe August Bebel und Eigentum ein, so werden einem umgehend diverse Zwangsversteigerungen in August-Bebel-Straßen angeboten. Eigentumswohnungen an August-Bebel-Plätzen sind mal erschwinglich und hübsch geschnitten, mal großzügig ausgestattet. Darüber hinaus ist zu diesem Thema nicht viel zu erfahren. Man wird gezwungen, ganz altmodisch auf die Originalschriften und Abhandlungen über die politische Pra-xis Bebels zurück zu greifen.

Als die bürgerliche Presse 1882 eine offenbar der gezielten Verwirrung dienen-de Falschmeldung zum Tod August Bebels verbreitete, schrieb Karl Marx be-troffen: „Das größte Unglück für unsere Partei.“ Es war die Zeit von Bismarcks Sozialistengesetz, dem zu trotzen vor allem Bebel so geschickt verstand, dass die damalige Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands ihre Anhängerschaft ständig vergrößern konnte.

Ein Jahr später starb Karl Marx, erst 64 jährig, während der jüngere August Be-bel noch 31 kämpferische Jahre vor sich haben sollte. In diesen Jahren hatte er als „Arbeiterkaiser“ für die SAP und SPD eine zentrale Position in der jeweiligen Reichstagsfraktion – wenn auch, besonders anfangs, mit Sinnkrisen über die „Parlamentskomödie“. „Heute ist die eine Partei Amboß, die andere Hammer, morgen umgekehrt. Die eine reißt ein, was die andere erst mühselig aufgebaut hat. Die Verwirrung wird immer größer, die Unzufriedenheit immer nachhalti-ger, die Friktionen häufen und mehren sich und ruinieren in Monaten mehr Kräfte als früher in ebensoviel Jahren.“

Aberkannt wurde das Mandat nur für die Zeiten, in denen er mal wieder wegen Vorbereitung zum Hochverrat oder wegen Majestätsbeleidigung in Festungs-haft saß – immerhin relativ angenehm auf Schloß Hubertsburg im sächsischen Wermsdorf. Wenn er dort nicht zwei Jahre Zeit zum Arbeiten gehabt hätte, vielleicht wäre sein Hauptwerk nie entstanden? Seit seinem Buch über die Emanzipation der Frau gilt er als der erste Feminist der SPD. Aber im Gegensatz zu manch späteren Feministen und Feministinnen hatte Bebel sehr genaue Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft beschaffen sein muss, die Gleich-berechtigung ermöglichen wird. Schließlich heißt sein Buch nicht „Die Frau“, auch nicht „Die Frau im Sozialismus“, sondern „Die Frau und der Sozialismus“. Zusammen mit Karl Kautzky verteidigte August Bebel die marxistischen Wur-zeln der Partei. Auf dem Dresdner SPD-Parteitag 1903 bekräftigte er in seiner gewohnt emotional mitreißenden Rhetorik: „Ich will der Todfeind dieser bür-gerlichen Gesellschaft und Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbe-dingungen zu untergraben, und sie, wenn ich kann, beseitigen.“

Wohl wegen dieser Grundhaltung wurden in der DDR deutlich mehr Straßen und Plätze nach dem Sozialdemokraten Bebel benannt als in der Bundesrepub-lik. Diese Diskrepanz besteht bis heute. Nach leidvoller Erfahrung sind be-stimmte Themen im Osten sensibel geblieben. Etwa die Eigentumsfrage. Eman-zipation und Gleichheit war für Bebel in seinem Buch „Die Frau und der Sozia-lismus“, aus dem alle folgenden Zitate stammen, nur nach „grundstürzenden Umwandlungen“ zu erreichen. Nämlich nach Überführung der großen „Ar-beitsmittel in Gemeineigentum“. Nach seiner selbst gestellten Frage an den kapitalistisch gesinnten Leser, mit welchem „Rechtsgrund“ dies zu rechtfertigen wäre, lautet die Antwort: „Der Rechtsgrund ist derselbe, der immer vorhanden war, wenn es sich um ähnliche Veränderungen handelte, das Gemeinwohl. Die Quelle des Rechts ist nicht der Staat, sondern die Gesellschaft, die Staatsgewalt ist nur der Kommis der Gesellschaft, der das Recht zu verwalten und auszumes-sen hat.“

Quelle des Rechts ist heute in zentralen ökonomischen Fragen mitnichten die Gesellschaft, kaum noch der Staat, sondern die Kanzleien der Wirtschaft. Die Schöpfer der Werte haben keinen Einfluss auf deren Verteilung. Die Gesell-schaft könne sich nur dann selbst retten, so Bebel, wenn „sie das Eigentum, das sie geschaffen, wieder in ihre Hände nimmt.“ Wer nun eifrig einwendet, wohin dies führe, habe man doch gesehen, dem muss widersprochen werden. Das Scheitern des Realsozialismus hat seine Ursache sicher auch darin, dass das de jure Volkseigentum in der Praxis gerade nicht in den Händen der Gesellschaft lag, sondern in den Händen einiger weniger Staats- und Parteiführer. Aber ge-rade die Lenkung und Leitung nach dem Willen einzelner ist nach August Bebel auszuschließen, wenn von Selbstbestimmung die Rede sein soll. „Die Gesell-schaft ist alsdann eine Demokratie, die hinter das Geheimnis ihres Wesens ge-kommen ist.“

Die heutige Gesellschaft ist immer noch nicht hinter ihr Geheimnis gekommen. Und Bebel weiß warum: Weil nämlich die Staatsgewalt um jeden Preis verhüten muss, dass die Masse derer, die der bestehenden staatlichen Ordnung miss-traut, zur Erkenntnis der wahren Natur dieses Systems gelangt. „Zu diesem Zwecke muß die Masse in möglichster Unwissenheit über die Natur der beste-henden Zustände erhalten werden.“ Über Steueroasen und Boni, über Käuf-lichkeit und Günstlingswirtschaft, über V-Leute und Zuhälter Ausspähpraktiken, über Waffenlieferungen und Kriegsgründe, über lügende PR-Agenturen und gefügige Medien, über Korruption und Reichtum, über diesen ganzen Filz der mächtigen, unsichtbaren Clans.

Bebel würde sagen, wir sollten uns die Eigentumsstrukturen genau ansehen. Auch das Staatseigentum sei immer mehr zur Verfügungsmasse dieser Clans geworden. Er hätte Beispiele parat. Auch von unserdem großen Verbündeten, dessen Demokratie-Modell einst Zugabe der so verdienstvollen Befreiung dieser Siegermacht war. Etwa Enthüllungen vom März 2013 über hochgeheime Papiere des US State Departments zu den wahren Zielen des Irak- Krieges. (www.gregpalast.com/how-george-bush-won-the-war-in-iraq). Wenn wir glauben, es war „Blut für Öl“, so lägen wir damit völlig falsch. Es sei viel, viel schlimmer gewesen: „Blut für kein Öl“. Die Strategie bestand gerade nicht da-rin, den staatlichen irakischen Ölkonzern zu privatisieren, dann das Öl billig auf-zukaufen und teuer weiterzuverkaufen. Im Gegenteil, die Privatisierung musste dringend verhindert werden, weil diese privaten Unternehmer den Welt-Markt mit Öl geflutet hätten und damit den Bush´s und Rumsfelds und Cheney´s die Preise für ihre heimischen Ölbesitztümer verdorben hätten. Irak als „Disney-land des freien Marktes“ musste verhindert werden. Das große Öl durfte nicht erlauben, dass die ruinierte staatliche irakischen Ölkompanie privatisiert und damit der staatlichen Kontrolle entzogen wird. Damit wäre Irak kein OPEC Mit-glied mehr und sein Öl wäre nicht mehr limitiert. Saddam musste gerade des-halb gestürzt werden, weil er dabei war, mehr Öl zu verkaufen, (und das wo-möglich nicht mal auf Basis von Dollar). Das über Lobbyisten kontrollierte Staatseigentum war der einzige Garant des Privateigentums geworden.

August Bebel würde uns vielleicht darauf aufmerksam machen, dass hinter der undurchsichtigen Konstruktion von Staatseigentum im Kapitalismus ein „Ge-heimnis des Wesens der Gesellschaft“ liegen könnte. Das käme uns befremdlich vor und wir griffen beherzt zu „Becks Wirtschaftslexikon“ mit seinen 42000 Stichworten. Kein Eintrag unter Staatseigentum. Auch im „Juristischen Lexikon“ nichts – es führt keine Spur zum Geheimnis. Wiki? Fehlanzeige. Im ganzen In-ternet gelingt es nicht, eine brauchbare Definition dafür zu finden, was Staats-eigentum im bürgerlichen Staat bedeutet, erst recht keine Erklärung, wem in dieser Eigentumsform was gehört. Bis auf den zufälligen Hinweis, dass Wald im Staatseigentum den Einkommenswünschen des Finanzministers ausgesetzt ist und es daher zu hohen Abholzraten kommt.
Gehört der Wald dem Minister? In den USA wird dieses Eigentum ehrlicher-weise als government-owned bezeichnet. Und ich höre Bebel fragen: Habt ihr nicht verstanden, dass es hierzulande kein bisschen besser ist? Das Eigentum der Gebietskörperschaften, also das von Bund, Ländern und Gemeinden, wird in Deutschland nach § 903 BGB als Privateigentum betrachtet. Das wird einem jeder Staatsrechtler bestätigen. Aber diese scheinen keine Kommunikation mit Wirtschaftswissenschaftlern zu pflegen. Es gibt den juristischen Eigentumsbe-griff, von dem kaum jemand eine Ahnung hat. Und es gibt den politischen, der den Parteien, auch den Oppositionsparteien, bewusst oder unbewusst dient, ihre Herrschaft zu begründen und zu verschleiern. Sie wollen oder können nicht zugeben, dass im Rechtsstaat gerade nur das gilt, was de jure gilt.

Deshalb ist es zum Beispiel sehr schwer an Informationen darüber zu kommen, weshalb die Öffentlichkeit über das sogenannte Öffentliche Eigentum keinerlei Verfügung hat. Weil nämlich öffentlich-rechtlich organisierte juristische Perso-nen wie der Staat oder Religionsgemeinschaften ihr Privateigentum durch Widmung, also Zweckbestimmung und praktische Nutzung, zwar öffentlich zu-gänglich machen können, auf Art und Dauer der Widmung hat die Öffentlich-keit aber keinen Einfluss. Auch Öffentliches Eigentum ist Privateigentum des Staates.

Eigentum eines Staates, der auf Kosten seiner Bürger immer mehr zur Berei-cherungsmaschine einer kleinen Schicht geworden ist. Der eben nicht der „Kommis“, der Diener der Gesellschaft ist. August Bebel bliebe wohl hartnäckig dabei, uns aufzufordern, das Herrschaftsgeheimnis dieser unsichtbaren Clans zu lüften. Wo nämlich private Interessen sich des öffentlichen Bereiches be-mächtigen, sind der Korruption Tür und Tor geöffnet. Bebel würde seine Partei fragen, weshalb sie von der im Grundgesetz angebotenen Option des von ihm bevorzugten Gemeineigentums keinen Gebrauch gemacht hat. Im Godesberger und Berliner Programm taucht der Begriff noch verschwommen auf, im aktuel-len nicht mehr. Gemeineigentum, das tatsächlich den Bürgern gehört und nicht der Regierung, hat es in der Bundesrepublik nie gegeben. August Bebel würde heute nichts anderes sagen als zu seiner Zeit. Das spricht für ihn und gegen die verlorene Zeit. Am Ende des 28. Kapitels seines Buches zitiert er Lewis Henry Morgan:

„Seit dem Eintritt der Zivilisation ist das Wachstum des Reichtums so ungeheuer geworden, seine Formen so verschiedenartig, seine Anwendung so umfassend und seine Verwaltung so geschickt im Interesse der Eigentümer, daß dieser Reichtum dem Volke gegenüber eine nicht zu bewältigende Macht geworden ist. Der Menschengeist steht ratlos und gebannt da vor seiner eigenen Schöp-fung. Aber dennoch wird die Zeit kommen, wo die menschliche Vernunft er-starken wird zur Herrschaft über den Reichtum, wo sie feststellen wird sowohl das Verhältnis des Staates zu dem Eigentum, das er schützt, wie die Grenze der Rechte der Eigentümer. Die Interessen der Gesellschaft gehen den Einzelinte-ressen absolut vor, und beide müssen in ein gerechtes und harmonisches Ver-hältnis gebracht werden; die bloße Jagd nach Reichtum ist nicht die Endbe-stimmung der Menschheit.“