Dirty Tricks – Der BND und kein Ende – Freitag 23 9.6.2006

DER BND UND KEIN ENDE
Sinnsuche im Dunstkreis von Information und Desinformation

Im Moment des größtdenkbaren Erfolges der westlichen Geheimdienste schien es, als hätten sie mit dem Zufallbringen ihres Jahrzehnte verfolgten Hauptfeindes dummerweise auch ihre eigene Existenzberechtigung zu Fall gebracht. Nach dem gewaltlosen Untergang des Realsozialismus war den Diensten vieler Länder das zu beobachtende Ufo abgetaucht.

Auch in der Bundesrepublik fand der omnipotente Antikommunismus kein Satisfaktionsobjekt mehr. Als 1991 allein für den BND etwa eine Milliarde DM locker gemacht werden musste, stellten führende Politiker der Volksparteien, wie der damalige CSU-Generalsekretär Erwin Huber oder der SPD-Haushaltsexperte Rudi Walther, die kostspieligen deutschen Geheimdienste in Frage. Deren Abschaffung verlangten damals noch aktive Bürgerrechtsgruppen, ebenso die Parteiprogramme der oppositionellen Grünen und der PDS.

Heute ist in dieser Beziehung Ruhe im Karton. Und da behaupte noch jemand, die Geheimdienste seien nicht erfolgreich. Wenn der 9.11. nicht über sie gekommen wäre, sie hätten ihn erfinden müssen.

Eine dubiose Jagdgemeinschaft von Schlapphüten und Journalisten

Die großen Medien allerdings hielten sich mit der grundsätzlichen Infragestellung der Geheimdienste von Anfang an auffallend zurück, selbst als die BND-Methoden durch diverse Bücher in den neunziger Jahren im Detail bekannt wurden: Subversive Aktionen in Dutzenden Staaten, die besonders der Unterwerfung der Wirtschaft dienten, die Gründung von Tarn- und Scheinfirmen zur Geldschleusung, das Anheuern von Schwerverbrechern als „Vertrauenspersonen“, Waffengeschäfte in Bürgerkriegsregionen Afrikas und Asiens, Hilfe beim Sturz unliebsamer Regierungen und der Verfolgung von linken Parteien und Bewegungen. Erinnert sei an die Ausbildung der Geheimdienstoffiziere von Saddam Hussein in Bayern, bei gleichzeitiger Übermittlung personenbezogener Informationen über in der BRD lebende irakische Oppositionelle an den Diktator durch den damaligen BND-Chef Klaus Kinkel. Oder an die Unterstützung beim Bau der gigantischen Giftgasfabrik in der libyschen Wüste, die in einer Desinformationskampagne als Produktionsstätte für Pharmazie ausgegeben wurde.

Auch die amtliche BND-Definition von Desinformation war in dem Buch Schnüffler ohne Nase – Die unheimliche Macht im Staate von Erich Schmidt-Eenboom nachzulesen: „Lancieren falscher, unvollständiger oder auf sonstige Weise entstellter Informationen in der Absicht, den oder die Empfänger zu einem vom Urheber der Desinformation gewünschten Verhalten zu veranlassen.“

Dem Sonderbericht des ehemaligen BGH-Richters Gerhard Schäfer für das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages ist nun zu entnehmen, dass der BND damals die detailreiche und überwiegend richtige Faktendarstellung beklagt hat: „Die Veröffentlichung traf Leitung und Mitarbeiter des BND tief. Man sah die Sicherheit und Arbeitsfähigkeit des Dienstes und seiner Mitarbeiter gefährdet.“

Das Buch von Schmidt-Eenboom wurde in den großen Medien zwar besprochen, aber die Empörung über die dargestellten Machenschaften hielt sich in Grenzen. Eine gebotene Debatte über den Sinn von Geheimdiensten zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Völker und der freien Bürger in Demokratien fand nicht statt. Auch die Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den kriminellen Energien des BND und gar spektakuläre Schlussfolgerungen sind nicht erinnerlich. Es ging weniger um überschaubare Strukturen und kontrollierbare Aufgaben als um Personen: Wer hatte wann wovon gewusst? Das waren meist die, die sowieso nicht mehr im Amt waren.

Mit seinem Buch Undercover. Wie der BND die deutschen Medien steuert legte Schmidt-Eenboom eine Erklärung für dieses Verhalten nach. Eine BND-Liste aus dem Jahr 1970 legte die Verquickung von 230 teils namhafter Chefredakteure, Herausgeber und Intendanten mit den Geheimen nahe. Diese Liste erfasste nicht das journalistische Fußvolk, sondern Teile der Elite des deutschen Journalismus, die Kommandozentralen der Medienszene besetzt hatten und die öffentliche Meinung im Sinne des BND mit gezielten Informationen steuerten. Und mit gezielter Personalpolitik. Nicht zufällig speiste der Fernsehchefredakteur des Bayrischen Rundfunks, Rudolf Mühlfenzl, regelmäßig mit BND-Präsident Wessel, bevor er zur demütigenden Abwicklung der in der Wende so populär gewordenen Ostsender geschickt wurde, die den Beitretenden endlich eine eigene Stimme gegeben hatten.

Langfristig funktioniert Steuerung natürlich weniger durch direkte Eingriffe, obwohl auch das jeder Journalist erlebt hat. Einige Beiträge des TV-Magazins Panorama sollen dem BND sogar zur Abstimmung vorgelegt worden sein, erfährt man in dem Buch. Als wirksamer und geschickter erwies sich einerseits die Gewährung optimaler Äußerungsbedingungen für diejenigen mit den gewünschten Überzeugungen und Feindbildern und andererseits die persönliche Einschüchterung oder gar Diffamierung sowie allmähliche soziale Ausgrenzung störender Kritiker. Bei dem Ankläger Schmidt-Eenboom revanchierte sich der BND unter Missbrauch der Amtshilfe mit in Auftrag gegebenen Steuerprüfungen des vom Geheimdienstexperten geleiteten Friedensforschungsinstitutes, wie dem Schäfer-Bericht zu entnehmen ist.

Die Vermutung, wonach sich an diesen Praktiken nichts Grundlegendes geändert hat, wird vor allem durch das Resultat gestützt: die – bei aller Abweichung im Detail – letztlich auf Mainstream geschalteten großen Medien. Doch auch einzelne Beobachtungen und Indizien oder die Lektüre des Schäfer-Berichts lassen das Bild einer dubiosen Jagdgemeinschaft von Schlapphüten und Journalisten entstehen: eine Nachrichten-Händlerszene in trübem Licht, bei der schon einmal aus der Staatskasse private Medienmogule gesponsert werden (wie einst sieben Millionen CIA-Dollar für die Springer-Presse). Blätter, die dann wiederum überlegen, 1,5 Millionen für ein zweifelhaftes KGB-Dossier zu investieren, oder auch nur 10.000 Euro für den schwer überprüfbaren „Informationsabfluss“ eines Lecks. Vor den Konkurrenzblättern veröffentlicht, bringt ein solcher Bericht Aufmerksamkeit und Auflage, also Karriere und Gehaltserhöhung. Ob auch Wahrhaftigkeit – wer will sich da schon verbürgen. Ein eitler Wettlauf der Reichen und Einflussreichen um den Ausbau ihrer Position.

Dann werden die Hosen heruntergelassen – oder man muss zum Tellerwaschen

Und in dieser konspirativen Jagdgemeinschaft haben nun also fünfeinhalb Journalisten neuneinhalb Kollegen bespitzelt. Die Empörung ist erheblich größer als bei der Schürung von bewaffneten Bürgerkriegen. Ernstzunehmende Journalisten erklären angewidert, ab sofort dem Pullacher Intrigantenstadl nicht mehr vertrauen zu können, denn es sei ein Mistbeet für Denunziationen. Ja, glaubten sie immer noch, sie hätten es mit der Heilsarmee zu tun?

Zweifellos ist der Vorgang nicht nur gesetzwidrig, sondern auch widerlich. Als aber weit Widerlicheres aufgedeckt wurde, schwiegen die meisten. Hat die jahrzehntelange konspirative Kungelei um Information und Desinformation die Pressefreiheit nicht viel mehr gefährdet? Wird dieser Grundwert jetzt nicht als Schutzschild missbraucht, um sich weiterhin ungestört in der Grauzone von Andienerei und Vertuschung tummeln zu können und auf dem Schwarzmarkt des verlangten, erpressten und erkauften Geheimnisverrats? Schließlich glaubte man sich darauf verlassen zu können, zur „ausforschungsfreien Sphäre“ erklärt worden zu sein. (Womit gleichzeitig klar ist, dass sich alle, die nicht unter dieses Privileg fallen, in der Ausforschungssphäre befinden.)

Aus diesem konspirativen Nachrichtenfilz kommt letztlich niemand unbeschadet heraus. Im Zweifelsfalle findet sich bei jedem ein kompromittierendes Foto, ein angenommenes Geschenkchen, eine lückenhafte Steuererklärung, ein kleiner Verrat. Dann müssen die Hosen heruntergelassen werden oder man wird zum Tellerwaschen geschickt. Selbst ein Bob Woodward wird die Bühne nicht als Held verlassen.

Auch diesmal wird die Debatte personalisiert, statt ernsthaft über den Sinn von Geheimdiensten im Zeitalter elektronischer Suchmaschinen nachzudenken. Wer wagt es noch, an der Unverzichtbarkeit von Spionen zu zweifeln, wenn wir uns doch alle im weltweiten Krieg gegen den Terror befinden? Was macht es da schon, wenn dieser Krieg den Terror bisher nur verstärkt hat. Und kein einziger Fall von erfolgreicher Gewaltverhinderung zweifelsfrei belegt ist. (Der vereitelte Anschlag auf das Jüdische Kulturzentrum in München soll nach Aussage des jugendlichen Angeklagten von einem V-Mann des bayrischen Innenministeriums angestiftet worden sein, was umgehend dementiert wurde.)

Die Agenten haben die Situation längst durchschaut und sich lukrativeren Betätigungsfeldern zugewandt. Zwei Drittel der nachrichtendienstlichen Spionage sollen sich inzwischen der Wirtschaft widmen. Im härter werdenden globalen Konkurrenzkampf geht es um die Vorherrschaft im High-Tech-Bereich, um Luftfahrt, Rüstung, Telekommunikation, Kernspaltung. Um Betriebsgeheimnisse auszukundschaften, braucht man allerdings längst keinen Spion mehr in der Firma. Jeder ISDN-Anschluss kann aus der Ferne so manipuliert werden, dass das Mithören von Gesprächen unbemerkt bleibt. Hacker durchbrechen die Firewalls und führen computergestützte Angriffe auf Unternehmen. Wird aktiv in die Abläufe des Zielobjektes eingegriffen, spricht man von Dirty Tricks.

Die Geheimdienste beobachten und führen diesen Wirtschaftskrieg. Die Auswertung ist top secret. Das geht uns nichts an. Wirklich nicht? Der Neoliberalismus hat zu exzessiver Privatisierung geführt. Der Anteil von Gemeineigentum wird immer geringer. Werden in diesem Wirtschaftskrieg nicht mit öffentlichen Mitteln die Interessen privater, transnationaler Aktiengesellschaften verfolgt? Hier muss der Gesetzgeber zur Rede gestellt werden, nicht die gehätschelte Geheimdienstquelle: Jagen da staatliche Agenten dem shareholder value von Unternehmen nach, die im Lande nicht einmal Steuern zahlen und den Zugewinn an technologischem know how zum Abbau von Arbeitsplätzen nutzen? Sollen Geheimdienste auf Dauer ein rechenschaftsfreier Raum bleiben, den der Steuerzahler finanzieren, aber nicht befragen darf? Hat der Bürger in einer Demokratie da kein Wörtchen mitzureden?

Liebe Kollegen in den großen Medien, wollen wir uns nicht auf solche Fragen konzentrieren, statt uns in den Niederungen des bei trübem Licht unausrottbaren Spitzelwesens mit Dirty Tricks zu verzetteln?