Arche Suhrkamp

Prozess Der geistige Ertrag des Verlages schlägt vor dem Gesetz nicht zu Buche. Das schadet dem Recht und der Kunst gleichermaßen

Nun wartet die literarische Welt mit angehaltenem Atem auf ein weiteres Urteil zum Schicksal des Suhrkamp-Verlages. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach hat beantragt, den Verlag aufzulösen. Darüber und über seinen Antrag und den der Unseld-Familienstiftung, sich wechselseitig aus der Verlagsgesellschaft auszuschließen, soll am 13. Februar entschieden werden. Etwas Schicksalhaftes hat es schon, wenn die zuständige Gerichtskammer für Handelssachen, weit entfernt von kulturpolitischen Erwägungen, über die „Arche Noah“ des Geistes zu befindenden hat.

Sicher, auch im Kulturbetrieb muss man sich an Verträge halten. Aber deren Auslegung ist bekanntlich weitgehend Ermessensfrage, weshalb Berufungsgerichte vorangegangene Urteile nicht selten aufheben. So sind sich unabhängige Juristen bis heute durchaus nicht einig, ob die Suhrkamp-Anwälte oder das Gericht im Dezember die richtigen Zahlen zugrunde gelegt haben. Damals hatte das Gericht die Geschäftsführung abberufen, weil sie den im Gesellschaftsvertrag festgelegten Schwellenwert von 75.000 Euro, die ohne Genehmigung des Mitgesellschafters ausgegeben werden dürfen, überschritten hat. Wie aus der Lektüre des online zu lesenden Urteils zu entnehmen ist, reduziert sich die aus dem Vermieten der Privatvilla resultierende Verfehlung der Unseld-Familienstiftung auf läppische 3.200 Euro im Jahr.

Darüber hinaus ist alles umstritten. „Der Wortlaut des Vertrages“, so die Richter, „lässt nicht erkennen“, ob zum Beispiel die Umsatzsteuer hinzuzurechnen ist oder ob sich die Grenze der zulässigen Anschaffungskosten auf einen Gegenstand oder die Summe aller erworbenen Objekte bezieht. Auch ist nicht klar, wie es zu bewerten ist, wenn die Nebenkosten geringer ausfallen sollten als die Vorauszahlungen.

Solche offensichtlich unbeabsichtigten, da leicht zu vermeidenden Stolpersteine gehören nicht vor ein Gericht, sondern vor eine gesellschaftliche Schiedsstelle, die den Kontrahenten bewusst macht, was ein Rechtsstreit für Folgen haben wird. Denn die Stärke und gleichzeitig die Absurdität des formellen Rechts ist, dass gesetzliche Grenzmarken ohne Ausnahme bedingungslos eingehalten werden müssen: ein Cent über dem zulässigen Höchstwert und man hat verloren, eine Sekunde über der Frist und es ist vorbei. Das macht die Berechenbarkeit des Rechts aus und seine Blindheit. Wenn Suhrkamp-Autor Rainald Goetz vom Recht als der „Niederlage der Vernunft“ spricht, mag er daran gedacht haben.

Aber wer formal Recht bekommt, ist noch lange nicht der Sieger. Wem die Autoren weglaufen, der kann keinen Verlag betreiben. Hier zeigt sich, dass die Unvernunft des Rechts noch tiefer begründet ist. Wir haben ein auf dem Römischen Recht basierendes System. Also auf dem Recht, seine Sache zu gebrauchen und zu missbrauchen, soweit es die Idee des Rechts zulässt. Und diese Idee besteht gerade in dem egoistischen Interesse der Eigentümer, ihre Besitztitel zu heiligen. Während der Verfassungsgrundsatz, nach dem „Eigentum verpflichtet“, gesetzlich nicht konkretisiert wurde und damit ins Leere läuft.

Kunst und Kultur sind angeblich ein Grundnahrungsmittel. Es können aber noch so viele Leser und Autoren besorgt sein um das „wichtigste Forum für kritische Geistes- und Sozialwissenschaften in Deutschland“ – wenn sich ein Investor mit bis zu 15 Prozent Renditeerwartung auf dieses Kulturgut stürzt, dann ist der durch die Eigentumsgarantie legalisierte Kahlfraß das höhere zu schützende Rechtsgut. Autoren, deren Arbeit ja das ist, was Verlage, Übersetzer, Kritiker, Buchhandlungen und Literaturagenten ernährt, müssen diesem Treiben ohnmächtig zusehen. Arbeit hat im aus der Sklavenhalterzeit stammenden, römischen Rechtsdenken geringen Stellenwert. Das Recht auf Ankauf eines Arbeitssklaven war schon das ganze Arbeitsrecht. Humankapital galt nicht als wertvoll. Vermögenszuwächse gehen seither einzig an das richtige Kapital.

Es zählt nur das Recht auf maximale Rendite. Die einzigartige intellektuelle Mitgift des Suhrkamp-Verlages schlägt im Handelsrecht nicht zu Buche. Was unbestreitbar ist, hat juristisch kein Gewicht: Geistige Rendite ist der Zweck von literarischer oder wissenschaftlicher Arbeit – sie macht das kreative Potenzial einer Gemeinschaft aus. Wer in den Geisteswissenschaften auf dem neusten Stand sein will, kommt ohne die Suhrkamp-Titel nicht aus.

Eine der Kunstförderung gewidmete privatrechtliche Einrichtung sollte zudem nicht abgestraft werden, wenn sie sich auch dem kulturellen Leben der sie beherbergenden Stadt verpflichtet fühlt. Diese gute Suhrkamp-Tradition hat die Geschäftsführung dankenswerterweise von Frankfurt nach Berlin mitziehen lassen. Zugunsten eines „Geisteslebens als gesellschaftliche Einrichtung“ hat ihr Geschäftsmodell die Profite der Eigentümer nicht maximiert, sondern zum Nutzen der Besucher in zumutbaren Grenzen gehalten. Auch dafür müsste ein gesetzlicher Spielraum geschaffen werden, den es bisher nicht gibt. Das wären erste Schritte „in eine bessere Zeit“, von deren Kommen Siegfried Unseld überzeugt war.

Wenn der jetzige Streit nicht nur den Verlag erhält, sondern das Denken in diese Richtung anstößt, wäre der Verschleiß an Kraft, Nerven und Geld nicht ganz umsonst gewesen.

der Freitag 13.02.2013