Müller und König – zum Programm von Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin. Freitag 23.8.2012

Macht Die Politik hat sie verscherbelt, da helfen auch keine Richtersprüche aus Karlsruhe. Die Alternative: Selbstermächtigung der Bürger

Gespannt wartet die Republik auf das nächste große Urteil des Verfassungsgerichts. Am 12. September entscheiden die Richter erneut, was Politik dürfen soll, diesmal in der europäischen Schuldenkrise. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist da bereits weiter. Er hat die drei hilfreichen Rumpelstilzchen Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian Nida-Rümelin um Rettung aus dem programmatischen Stroh gebeten und zum Goldspinnen engagiert. Herausgekommen ist die famos glitzernde Idee, die Politik müsse sich selbstermächtigen. Jene Politik – eine andere haben wir ja nicht –, die seit Jahren eifrig an ihrer Selbstentmachtung gearbeitet hat. Ist erinnerlich, dass allzu viele Geistesriesen sie daran gehindert haben? Die Politiker haben diese Macht nicht etwa unters Volk verteilt, wo sie hingehören würde, sondern unter die Finanzspekulanten und Fonds-Investoren, die an dieser Macht nun trotzig festhalten. Weil es gewinnbringend ist, die eigenen Interessen gegenüber einer Politik durchsetzen zu können, die ihr Tafelsilber verscherbelte und nun mangels Haushaltsgeld einen sehr begrenzten politischen Spielraum hat, ja erpressbar geworden ist.

Schlimmer noch als der Verlust der Finanzhoheit ist der Verlust an Vertrauen. Wenn, wie von Forsa ermittelt, 81 Prozent der Befragten meinen, die Parlamentarier seien mit den Maßnahmen gegen die Krise überfordert – woher soll dann Vertrauen und Loyalität gegenüber der Politik kommen? Zumal die Abgeordneten und Regierenden dem gar nicht widersprechen, sondern selbst zu 80 Prozent einräumen, sich ohnmächtig zu fühlen. Wenn in der Massendemokratie die paar Volksvertreter als Repräsentanten des ganzen Volkes nicht mehr anerkannt werden, hat die repräsentative Demokratie keine Legitimität mehr.

Lebensnotwendige Organe ans Kapital

Die drei SPD-Programmierer reden von „Fassadendemokratie“, ohne dass noch jemand widerspricht. Eine hochgefährliche Diagnose. Wie konnte die Selbstentmachtung der Politik vor unser aller Augen geschehen? Gesetz um Gesetz, hat die Politik ein lebensnotwendiges Organ nach dem anderen ans Kapital gespendet. Es begann 1973 mit dem Herzstück des geordneten Finanzsystems: Die USA hatten das Dreifache der Munitionsmenge des Zweiten Weltkrieges auf Nordvietnam regnen lassen und sich dabei so verschuldet, dass sie die Golddeckung des Dollars nicht mehr gewährleisten konnten. Unter dem Druck von Devisenspekulationen begannen die Schweiz und die Bundesrepublik das System flexibler Wechselkurse einzuführen.

Mitte der achtziger Jahre opferten die Politiker die Stützen der Realwirtschaft zugunsten einer Spekulationswirtschaft, als sie die Festkurse auf den Kapitalverkehr, also die zwischenstaatlichen Geldbewegungen, die nichts mit Warenlieferungen und Dienstleistungen zu tun hatten, freigaben. Der Großoffensive des Kapitals sekundierten die Politiker 1990, als nach dem Niedergang des Konkurrenzsystems niemand mehr eine soziale Legitimation forderte. Die Marktfundamentalisten gingen zur bedingungslosen Profitmaximierung über, es hieß Privatisieren und Deregulieren. Die Regierung Kohl erließ der Wirtschaft die Börsenumsatzsteuer. Rot-Grün schaffte schließlich Freiräume für Zinsversprechen, mit denen die Einkommen aus Geldvermögen über die allgemeine Wirtschaftsleistung stiegen. Weshalb die Einkommen aus Arbeitsleistung zwangsläufig darunterfielen, weil davon die Zinsen und Renditen der Reichen bezahlt werden. In ganz Europa. Und darüber hinaus.

Doch nicht alternativlos

Und diese Selbstentmachtung sollen die Politiker nun glaubhaft aus eigener Kraft umkehren können? Das würde bedeuten, sie müssten all das, was sie uns jahrelang als alternativlos untergeschoben haben, rückgängig machen und das mindestens europaweit. Für die Verlagerung der Budgethoheit nach Brüssel bedarf es einer Verfassungsänderung. Bemerkenswert, dass man erstmalig erwägt, den Souverän in einem Volksentscheid zu befragen, wenn es um Abgabe von Souveränität geht.

Das Problem bei dieser Abgabe ist nicht, dass der nationale Rahmen gesprengt wird. Deutschlands Interesse ist letztlich, ein guter Europäer zu sein, da man sich in der Tat nur noch gemeinsam behaupten kann. Das Problem ist, dass die für die Demokratie in Europa unerlässlichen Strukturen noch nicht hinreichend ausgeprägt sind. Nur die verfassungs- und gesetzgebende Gewalt der Unionsbürger wäre eine akzeptable Legitimationsgrundlage. Solange dies nicht durchsetzbar ist, besteht weiter die Gefahr, dass Lobbyisten die Gesetze schreiben.

Wenn Italiens Premier Mario Monti in einem unkontrollierten Moment die Regierungen aufruft, sich von den Parlamenten unabhängig zu machen, und Wirtschaftsminister Philipp Rösler dafür plädiert, Initiativen von Bürgern zu bremsen, um Verzögerungen zu vermeiden, wird einmal mehr klar: Das Primat der Politik kann nur über die Selbstermächtigung der Bürger zurückerobert werden. Diese will allerdings gewollt und gekonnt sein. Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Bürgerrechtler heiß? Wer verhindern will, dass sein Gold zu Stroh gesponnen wird, der muss sich mit den Müllern und Müllerstöchtern aller Länder vereinigen und den Königen klar machen, wer hier die Bedingungen stellt.