Die Grenzen der Toleranz – Wir sollten die NPD verbieten – Freitag 48 vom 1.12.2011

Wir sollten die NPD verbieten – aber die damit verbundenen gesellschaftlichen Fragen nicht unterdrücken

Solange die NPD eine legale, in Parlamenten vertretene Partei ist, hat sie den grundgesetzlichen Auftrag, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Ein schwer erträglicher Gedanke angesichts des kruden, deutschtümelnden Ausländerhasses und des schlichten Geschichtsbildes dieser Partei. Auf ihrer Programm-Website führen Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und „Integration ist Völkermord“ zu verpflichtender „Aus-länderrückführung“ und einem „Staatsbürgerrecht nach Abstammungsprin-zip“. Ausländer sind aus den Sozialversicherungen „auszugliedern“, finanzielle Zuwendungen haben „ausschließlich deutsche Familien zu fördern“. Die NPD verwahrt sich strikt gegen die „Preisgabe der deutschen Gebiete“ und unterstützt die Vertriebenenverbände im Kampf um die „deutsche Heimat im besetzten Land“. Sie verlangt, den „deutschen Schuld-kult im Dienst fremder Finanzinteressen“ zu beenden – ein Maß an schlecht kaschiertem Antisemitismus, das hierzulande gerade noch durchgeht.

Forderte diese scharf an Volksverhetzung vorbeischrammende Weltsicht nichts anderes heraus als die Geduld im demokratischen Diskurs, wie zuletzt in der Debatte um Sarrazins Thesen behauptet wurde, so könnte man gelassen bleiben. Aber die Wehrhaftigkeit der Demokratie hat versagt – der sich auf das NPD- Gedankengut und deren logistische Hilfe stützende Rechtsextremismus hat eine Spur von Blut und Verbrechen gezogen. Im Für und Wider neigt sich die Waage in Richtung Verbot, meint nun selbst der CSU-Innenminister Hans Peter Friedrich, der immer dagegen war.

Dass sie sich nur neigt und nicht wie mit Wackersteinen beladen nach unten sackt, liegt an den bleischweren Lemuren die offenbar unerschütterlich auf der anderen Waagschale hocken. Eines dieser Gespenster behauptet, Verbote seien sinnlos, weil sich durch Neugründungen aufgehoben würden. Doch dafür gibt es in der Geschichte der Bundesrepublik keinen Beleg. Das ganze Umfeld des KPD-Verbotes ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Staat, wenn er nur festentschlossen ist, ein ganzes politisches Milieu zur Bedeutungslosigkeit verurteilen kann. Für Linke aller Art, denen in ihrer Geschichte selbst ein Hang zu Verboten nicht nur nachgesagt wird, ist es womöglich schwieriger, offensiv zu argumentieren. Doch es lohnt sich, wenn auch hier sehr verknappt, zu erinnern:

Obwohl Tausende Kommunisten unter den Nazis ihr Leben verloren, konnte die KPD in den ersten Nachkriegsjahren in den Westzonen noch bis zu 300 000 Mitglieder mobilisieren. Doch während Art. 131 des Grundgesetzes den Nazi-Eliten Übernahme und Versorgung zusicherte, hatten es die zumTeil aus der Emigration oder dem Untergrund kommenden Antifaschisten von Anfang an schwer, Anstellungen zu finden. Schon im September 1950 fasste die Bundesregierung den Beschluss, Kommunisten aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen.

Die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei war (und ist) ein hinreichender Grund, um von Entschädigung für in der Nazizeit erlittenes Unrecht ausgeschlossen zu sein. Jahre vor dem Parteiverbot wurden alle vermeintlichen kommunistischen Tarnorganisationen kriminalisiert. Tausenden Ermittlungsverfahren, die wiederum von den meisten Arbeitsgerichten als Kündigungsgrund akzeptiert wurden, endeten nicht selten mit Zwangsräumungen von Werkswohnungen. Demonstrationen und Massenversammlungen wurden Kommunisten verboten und bei Zuwiderhandlung gewaltsam von der Polizei aufgelöst. 1952 wurde die Geschäftsordnung des Bundestages so geändert, dass die KPD ihren Fraktionsstatus und damit das Recht auf Anträge und Anfragen verlor.

Nach dem KPD-Verbot 1956 stellte Paragraph 90a StGB die Gründung von Ersatzorganisationen unter Strafe. Das führte zu weiteren, weit über hunderttausend Ermittlungsverfahren. Ohne Beweis einer tatsächlichen Straftat wurden oft von zugelassenen Geheimzeugen Vorbereitungshandlungen zum möglichen Hoch- oder Landesverrat oder zu Staatsgefährdung konstruiert. Für reale oder angebliche illegale Tätigkeit brachte es die Strafjustiz bis 1968 zu etwa zehntausend Urteilen, darunter hunderte Haftstrafen zwischen einigen Monaten und fünf Jahren, zur zeitweiligen Aberkennung von staatsbürgerlichen Rechten wie passives und aktives Wahlrecht, zu Pass- und Führerscheinentzug, zu Polizeiaufsicht und Berufsverboten, und für die Verurteilten zur jahrelangen Abzahlung der auferlegten Gerichtskosten.

Erst nach zwölf Jahren, in denen so tief in die Existenzgrundlagen von Kommunisten eingegriffen worden war, dass Sympathisanten eingeschüchtert und einstige Strukturen aufgegeben waren, wurde die Gründung der DKP zugelassen. Das erforderte auch die neue Ostpolitik. Doch die Partei zerfiel in Dutzende K-Gruppen, die wiederum vom Radikalenerlass massiv betroffen waren. Die Stigmatisierung war nachhaltig, die wenigen Mitglieder der DKP mussten, im Gegensatz zu vielen Kommunisten in Westeuropa, auch schon vor 1989 als politische Größe nicht mehr ernst genommen werden.

Zu diesen Methoden will niemand zurück. Es gibt, so will man hoffen, heute höhere Ansprüche an den Beweis von Verfassungsfeindlichkeit als damals. Das wirksame an einem Verbot bleibt die gesellschaftliche Ächtung. Angesichts des rechten Terrors ist es legitim zu überlegen, welche No Go- und No Geld-Zonen dabei hilfreich wären.
Gutachten belegen: der Steuerzahler muss nicht verpflichtet bleiben, wie zur Zeit, die Hälfte der NPD- Kosten zu übernehmen. Auch muss es nicht dabei bleiben, dass landeseignen Banken die Eröffnung von Partei-Konten nicht verwehren dürfen. Der Berliner Senat sah bislang keinen Grund, Unternehmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, die in Geschäftsbeziehungen zur NPD stehen. Öffentliche Aufträge seien „diskriminierungsfrei“ zu vergeben. Solange das Ausgrenzen der NPD als Diskriminierung gilt, ist gerade in Deutschland etwas faul.

Toleranz kann auch in fahrlässige Duldung umschlagen. Das Parteienprivileg, das auch die NPD genießt, setzt selbst Schüler der Propaganda ungeschützt aus: Die militanten Freien Kameradschaften verteilten 2004 vor Schulen kostenlose Rechtsrock-Musik CD´s, auf denen zum Stakkato marschierender Stiefel die Nachkriegsordnung mit Gewalt revidiert wird. Die Naumburger Staatsanwaltschaft erwirkte einen bundesweiten Beschlagnahme-Beschluss.

Die NPD griff die Idee auf und bot vor Berufs- und Hauptschulen in einer „Jungwähleroffensive“ kostenlos 25 000 CD´s mit dem Titel: „Schrecken aller linken Spießer und Pauker“ an. Neben dem Wahlprogramm erklang darauf Musik der Neonazi-Band Landser und Songs des mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilten Sängers Frank Rennicke. Das Landeskriminalamt Niedersachsen wollte auch diese CD auf den Index setzen. Aber die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entschied, dass bei einer zugelassenen Partei Meinungsfreiheit Vorrang haben müsse. Als im mecklenburgischen Bützow ein Stadtgärtner beobachtete, wie diese „Schulhof-CD´s“ verteilt wurden, kippte er den Reklametisch um und zertrat einen Teil der Propagandaplatten. Er wurde rechtsstaatlich korrekt zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.

Solche Vorgänge müssen den Rechtsextremisten die Gewissheit geben, dass Unterstützung nicht nur aus der Mitte der Gesellschaft kommt, sondern auch aus der Mitte des Staates. Die vielgeforderte Kultur des Hinsehens wird unmöglich, wenn die Rechtsextremen staatlich geschützte Räume haben, die gegen Zivilcourage verteidigt werden. Etwa, wenn bürgerbewegte Gegen-Demos immer wieder mit Schlagstöcken oder gar mit toxischem, gesundheitsschädigendem CS-Gas aufgelöst werden.

Das andere Argument, nach dem ein Parteiverbot die Aufklärung der Geheimdienste erschweren würde, ist inzwischen zu einer bitteren Lachnummer geworden. Erstaunlich ist eher, weshalb die Vertrauenskrise gegenüber dem Verfassungsschutz nicht viel früher eingesetzt hat. Schon als 2001 öffentlich wurde, dass der Thüringer Vize-NPD- Chef Tino Brandt auf der Gehaltsliste des dortigen Verfassungsschutzes steht, verhöhnte der damalige Bundesvorsitzende der Partei Udo Voigt die Schlapphüte mit einem Lob für die Doppelrolle: „Die ausgesprochen konstruktive Arbeit des Kameraden Brandt hat sehr dazu beigetragen, dass der Landesverband Thüringen wieder Tritt gefasst hat.“

Studien belegen einen starken Anstieg von Gewaltdelikten unter 15 bis 24 jährigen Männern besonders in den Bezirken, in denen die NPD in Lokalparlamenten agiert. Zu befürchten ist, dass die Geheimen dafür sorgen werden, dass nach einem Parteiverbot das diffuse Umfeld der Kameradschaften durch V-Männer wieder „Tritt fasst“. Musste doch die Schweriner Staatsanwaltschaft schon 1994 einer dringenden Aufforderung des Verfassungsschutzes nachkommen, sich bei der Strafverfolgung zweier parteiloser Rechtsextremer zurückzuhalten, die in Boizenburg einen Überfall auf ein Asylbewerberheim verübt hatten. Einer der Angeklagten soll V-Mann gewesen sein. Mit diesem Erfolg?

Auch das Argument, ein erneuter Verbotsantrag sei ein zu großes Risiko, ist unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht hat Voraussetzungen genannt, die eindeutig und erfüllbar sind: Unmittelbar vor oder während der Durchführung eines Verfahrens dürfen V-Leute nicht Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands sein. Die nachrichtendienstliche Beobachtung der Partei muss also nicht eingestellt werden. Im Übrigen verheimlichen Neonazis nicht, dass sie das elementare Gleichheitsgebot des Grundgesetzes abschaffen wollen. Es kann nicht sein, dass das Haupthindernis beim Schutz der Verfassung der Verfassungsschutz ist.

Doch auch ihn jetzt als Sündenbock hinzustellen, lenkt vom Eigentlichen ab. Wenn heimliche Sympathien oder zumindest ein Gewähren-Lassen aus der gesellschaftlichen Mitte kommen, dann ist nach den Gründen dafür zu fragen. Und zwar nicht den Geheimdienst, sondern die Öffentlichkeit. Führen die Armutsexzesse der Krise der 1920er Jahre und die prekären Ängste der 2000er Jahre zu ähnlichen Haltungen? Sind wieder die Andersaussehenden Schuld? Wo soziale und kulturelle Armut herrscht, nimmt Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Gewaltbereitschaft dramatisch zu.

Ein Verbot würde den Dialog noch dringlicher machen. NPD-Einrichtungen könnten zu kommunalen Jugendzentren umgewandelt werden, in denen politisch gebildete Sozialarbeiter und Psychologen den Mut rechts- und linksgesonnener Jugendlicher herausfordern, ihre gegenseitige Sprachlosigkeit zu überwinden. Beide Seiten identifizieren sich stark über Rock-Songs. Gemeinsam Musik zu hören, Texte und Filme zu diskutieren könnte deeskalierend sein. Wie erträgt man Schnittstellen? „Kampfeinsätze der Bundeswehr und die Kassen sind so leer“ – von welcher Seite stammt die Liedzeile? Auch die Antifa-Jugendlichen würden wohl lernen müssen, ihre Argumente zu differenzieren. Vielleicht könnten sie verstehen, dass auch Rechte einen ehrlichen Leidensdruck an der Gesellschaft haben. Dass sie an den Kapitalismus, seinen Zinswucher und Finanzharakiri verwirrend ähnliche Fragen stellen. „Nicht mehr verlieren, zu den Siegern gehören“ wünscht sich der Rechts-Rocktitel Nordwind. Hart im Raum blieben die diametralen Lösungsvorschläge – ethnisch bereinigter Rückzug auf das Nati-onale gegen internationale Solidarität aller Prekarier.

In einem Dokumentarfilm sagt ein Skinhead: „Wenn ich schon nicht geliebt werde, will ich wenigstens gehasst werden.“ Was für ein Armutszeugnis für die Elterngeneration, für unsere Generation. Wir dulden Zustände, in denen ein Teil der Menschen ihre natürliche Sehnsucht nach starken Gefühlen nur im Hass ausleben können. Die meisten Fragen bleiben an uns hängen.