BSW Wahlkampfveranstaltung im Berliner Kino Babylon am 10.2.25

Mit Reden von Oskar Lafontaine, Michael von der Schulenburg, Sevim Dagdelen und Daniela Dahn

Ich habe die Einladung, hier ein paar Worte zu sagen gern angenommen, weil ich das BSW seit seinem Bestehen als einzig konsequente Friedenspartei erlebt habe, als treibende Kraft der Friedensbewegung. Das kann es mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen. Ohne Mobilisierung von Sahra und Rednern wie Sevim, Schulenburg und Oskar Lafontaine wären die eindrucksvollen Großdemonstrationen nicht zustande gekommen.

Was auf deren Bühnen vorhergesagt wurde, ist eingetroffen – blutige militärische Gewalt hat sich wieder als Mittel der Politik etabliert. Und da wir als Bürger für die eigene Seite zuständig sind, kommt es darauf an, die Rechtsbrüche und Doppelmoral der eigenen Politiker und deren Verbündeter unter die Lupe zu nehmen. Und dies macht das BSW konsequenter als jede andere Partei. Der Krieg ist aus dem Wahlkampf fast verschwunden, obwohl er doch die größte Bedrohung ist. Das soll heute Abend anders sein.

„Die NATO – eine Abrechnung mit dem Wertebündnis“ heißt das faktenreiche und in mehrere Sprachen übersetzte Buch von Sevim Dagdelen. Sie wagt es darin, sich an die Seite des IGH zu stellen, der darauf verweist, dass selbst der unvorstellbar brutale Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten keinen Verstoß Israels gegen die Völkermordkonvention rechtfertigt. Solch juristischer Blick stört in einem Wertebündnis, in dem die unverbrüchliche Solidarität auch mit dem rechtsextremistisch regierten Israel zur Staatsraison gehört.

Und es stört, wenn daran erinnert wird, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur einen Verursacher hat. Für mich ist das BSW auch deshalb die konsequenteste Friedenspartei, weil es als einzige den Mut hat, jenseits aller unterstellten Putin-Gefolgschaft, der geistigen Mobilmachung gegen Russland und auch China zu widersprechen. Es stimmt nicht, wie alle anderen, in das ausschließliche Erklärungsmuster vom russischen Imperialismus ein, sondern verurteilt Russland dafür, dass es den Krieg begonnen hat, ohne zu verschweigen, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn nicht die USA zuvor jahrelang einen Schattenkrieg gegen Russland geführt hätten. 

„Die russische Falle. Wie unser Schattenkrieg mit Russland sich zu einer nuklearen Katastrophe steigern könnte“ – so der Titel des Buches, das der jahrelange Chef der Russland Analyse der CIA, George Beebe, drei Jahre vor dem Überfall der russischen Armee geschrieben hat. Ähnlich wie die namhaften US-Wissenschaftler Jeffry Sachs und John Mearsheimer bekennt er sich darin zu der defensiven Denkschule, die davon ausgeht, dass, was der Kreml getan hat nicht Aktionen, sondern weitgehend Reaktionen sind. Falsche Reaktionen auf falsche Aktionen der US und ihrer Nato-Verbündeten. Für den Plan, die NATO in die Ukraine zu holen musste eine demokratisch gewählte Regierung auf dem Maidan gestürzt werden. Das hat mehr als provoziert – es hat den Krieg heraufbeschworen und herbeigeführt. 

Seither ist die Ukraine zum Quasi-Nato-Mitglied aufgerüstet worden. Als unter Präsident Selenskyj 2019 die Neutralität aus der ukrainischen Verfassung gestrichen und der gewünschte Nato-Beitritt als Zusatz eingefügt wurde, geschah dies ohne Befragung der Bevölkerung. Dabei ist der Nato-Beitritt bis heute nur für 23 % der Ukrainer ein wichtiges Kriegsziel. (BZ 6.4.24)

Das heißt: Auch die Führung der Ukraine hat sich an diesem Schattenkrieg beteiligt, wohl wissend um die Sicherheitssorgen ihrer russischen Nachbarn. Oleksij Arestowytsch, Berater des Selenskyj-Büros, sagte lange vor der russischen Invasion: «Unser Preis für den Nato-Beitritt ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent ein großer Krieg mit Russland.»19 Dies geradezu herausfordernd, hat die ukrainische Führung im November 2021 ein Abkommen zur strategischen Partnerschaft mit den USA unterschrieben, das eine Integration der Ukraine in die militärischen Führungsstrukturen der Nato beinhaltete. Wenn Trump jetzt sagt, auch Selenskyj habe den Krieg mitprovoziert, hat er ausnahmsweise nicht so Unrecht.

 Dessen „Friedensplan“ ist eine Fata Morgana geblieben. Die westlichen Waffenlieferungen haben den blutigen Abnutzungskrieg verlängert, wie von der Friedensbewegung vorhergesagt. Ein Krieg, der wie alle Kriege, längst eine verbrecherische Eigendynamik hat. Auch wenn Trumps Außenminister, der Exil-Kubaner Marco Rubio sagt: „Wir haben in der Ukraine verloren“, so hat der US militärisch-industrielle Komplex seine Haupt-Ziele erreicht – die Profite der Rüstungs- und Frackinggas-Industrie sind unermesslich gestiegen, die Kosten weitgehend auf die Europäer abgewälzt, die dies mehrheitlich mit Rechtsruck quittiert haben. 

Deshalb ist der Ukraine-Krieg nicht nur im Wahlkampf fast verschwunden, sondern weitgehend auch aus den auf den gleichen Modus geschalteten Medien. Es ist 4 Wochen her, dass das ZDF nebenbei am Nachmittag berichtete, dass die ukrainische Front demnächst nach russischer Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk zusammenbrechen könnte. Interessant war der erklärende Zusatz, dass die Umgangssprache in dieser ostukrainischen Stadt meist Russisch sei. Die Sympathien für beide Seiten seien unter den Bewohnern zu fast gleichen Teilen verteilt. Es ist eben alles etwas komplizierter, als es ein Wahlkampf vorsieht. Und deshalb noch ein paar Überlegungen, die auf anderen Wahlkampfveranstaltungen eher nicht zu hören sind:

Die Begriffe Zeitenwende, wie auch kriegstüchtig, sind übrigens Nazisprech, wie man in meinem jüngsten Buch oder auf den Nachdenkseiten nachlesen kann. Ich unterstelle keine bewussten Absichten, nur mangelndes Geschichtsbewusstsein. 

Zur geistigen Mobilmachung gegen Präsident Putin hat unser Verteidigungsminister seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder beigetragen. Er versäumt kaum eine Gelegenheit, auf die Bedrohung durch Russland hinzuweisen. Auf einer Bühne hörte ich Boris Pistorius warnen, Putin habe gesagt, er wolle nicht bei der Ukraine stehen bleiben. Deshalb müssten wir uns gegen ihn verteidigen. Nach der Veranstaltung nutzte ich die Gelegenheit, ihn nach der Quelle von Putins Drohung zu fragen. Er räumte (in Anwesenheit prominenter Journalisten) ein, die Quelle nicht zu kennen. Aber dafür habe er ja seine Geheimdienste. «Ach», fragte ich erstaunt, «und denen glauben Sie?» «Wem soll ich denn sonst glauben», scherzte er.

Putin habe mehrfach gesagt, er wolle die alten Grenzen der Sowjetunion für Russland wiederherstellen – Georgien, Moldau. «Er führt Angriffskrieg für Grenzverschiebungen», fuhr Pistorius fort. «Wie die Nato in Jugoslawien», erwiderte ich. «Da mussten wir eingreifen, um Völkermord zu verhindern», rechtfertigte er sich. «Das ist nun wirklich Unsinn», entfuhr mir. «Der IGH hat keine Klage wegen Völkermord erhoben» «Wenn hier geleugnet wird, dass es sich um Völkermord handelte, dann bin ich aus dem Gespräch raus», fertigte er mich ab. Mit welchem Geschichtsbild von diesem vollkommen überflüssigen Angriffskrieg läuft unser aktueller Verteidigungsminister herum?

Die Tagesschau meldete unlängst wiederholt, europäische Geheimdienste hätten neue Erkenntnisse über mögliche Angriffe Putins auf NATO-Staaten. Ich wusste gar nicht, dass es europäische Geheimdienste gibt, dachte, dies sei Ländersache. Und ich wusste auch nicht, dass diese europäischen Dienste das Gegenteil von ihren US-Partnern sagen. Bereits im letzten Jahr stellten die sieben Geheimdienste der USA in einem gemeinsamen Bericht fest, dass ein russischer Angriff auf ein NATO-Land mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. (Schulenburg)

Und da Diplomatie seit dem westlichen Abbruch der Friedensverhandlungen in Istanbul zum Erliegen gekommen ist, kann niemand das fragen, was   der konservative Ex-Fox-News Moderator Tucker Carlson Putin vor einem Jahr gefragt hat. (Youtube) Eine markante Aussage, verkürzt:

Carlson: Glauben Sie, die Nato fürchtet einen globalen Krieg oder gar einen Atomkrieg?
Putin: Sie versuchen, die Bevölkerung durch eine vermeintliche russische Bedrohung einzuschüchtern. Denkende Menschen verstehen, dass das Fake ist. Lasst uns nicht in Kategorien denken, wer von wem Angst hat.

Carlson: Der Westen sagt, Putin ist in die Ukraine einmarschiert und hat Ambitionen auf den ganzen Kontinent.

Putin: Völlig ausgeschlossen. Das steht im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Das würde die gesamte Menschheit an den Rand des Untergangs bringen. Das sind nur Gruselgeschichten, um den amerikanischen und europäischen Steuerzahlern für Krieg Geld abzunehmen. Das Ziel ist es, Russland maximal zu schwächen. Warum müssen US-Soldaten in der Ukraine kämpfen? Die USA haben eigene Probleme – 33 Billionen Staatsverschuldung. Russland mit Respekt zu behandeln, ist vernünftiger.

Hierzulande gilt: alles, was aus Moskau verlautet, ist so wie so nur Propaganda. Kommt der Krieg im Wahlkampf deshalb nicht vor, weil nun alle darauf hoffen, dass er so oder so bald zu Ende gehen wird, und dann Frieden einkehrt? Das könnte ein Irrtum sein, wenn man hört, wieviel seltene Erden und weniger seltene Schwarzerde-Böden Trump sich davon verspricht. 

Krieg ist auch deshalb die wichtigste Frage, weil er der größte Klima-Killer ist. Und selbst die Beseitigung der Kriegsschäden, der Wiederaufbau in der Ukraine, in Gaza und anderswo wird enorme Mengen an Energie verschlingen. Erst muss der Schutt abtransportiert, dann neuer Zement produziert werden. Wozu die Kalköfen auf 1450 Grad erhitzt werden müssen. Zumindest bei dieser herkömmlichen Methode entstehen fast 600 Kilo CO₂ pro Tonne Zement. Hier könnte das BSW noch ein Argument für sich verbuchen, wenn es etwas klimasensibler wäre.

Und ich muss noch eine Einschränkung machen. Als ich vor einem Jahr meine kleine Rede beim Gründungsparteitag hielt, habe ich den Mut gelobt, im Parlament eine Repräsentationslücke zu schließen. Und dass ich davon ausgehe, dass die offenen oder strittigen Fragen im inner- und außerparteilichen Dialog präzisiert werden. Etwa die Gretchenfrage: Nun sag, wie hast du´s mit der Migration?  Deshalb kann ich heute nicht unerwähnt lassen, dass ich mir gewünscht hätte, dass das BSW gegen alle Merzschen Pläne gestimmt hätte. 

(Ich habe allen heutigen Rednern vorab gesagt, dass ich dies ansprechen müsste oder auf Wunsch lieber fern bleiben kann. Aber nein, fanden alle ganz cool – wir sind eine streitbare Partei, in der man selbst im Wahlkampf kontrovers diskutieren kann. Das fand ich nun wieder besonders. Aber s geht ja auch um ein Thema, bei dem kaum irgendjemand ganz mit einem anderen übereinstimmt – das halten wir aus.)

In aller Kürze: Es stimmt ja, dass ein richtiger Antrag nicht dadurch falsch wird, dass die Falschen zustimmen. Aber Merzens 5 Punkte-Plan war kein richtiger Antrag, sondern grundfalsch. Allein die ersten drei Punkte waren eine Bekräftigung dessen, dass seit der fatalen Grundgesetzänderung von 1993, gegen die damals auch hunderttausende auf die Straße gingen, das Recht auf Asyl in Deutschland praktisch abgeschafft ist. Merz hat es beim Kanzlerduell noch mal auf den Punkt gebracht: „Niemand, der Deutschland auf dem Landweg erreicht, hat Anspruch auf Asyl.“ Leider kann man Deutschland nur auf dem Landweg erreichen. Oder sind Schlauchboote auf Ost- und Nordsee gesichtet worden? Selbst die kämen aus einem sicheren Drittland. Das ungerechte EU-Dublin-Abkommen hat es so eingerichtet, dass den ärmeren südlichen Länder, als Ersteinreiseland, die alleinige Zuständigkeit aufgebürdet wurde: Malta, Griechenland, Spanien, Italien, über die Balkanroute auch Ungarn. Deutschland hat 2013 einen Solidaritätsmechanismus abgelehnt, weshalb viele Länder die Flüchtenden durchwinken. 

Sicher, es können nicht alle kommen, selbst dann nicht, wenn die Kriege und neokolonialen Praktiken der reichen Länder die Haupt-Fluchtursachen sind. 

Doch die Würde aller Menschen ist unantastbar. Damit verträgt sich keine Festung Europa, die nicht danach fragt, was mit den pushback Betroffenen geschehen wird. Hier kann man mit EU-Recht argumentieren, oder einfach mit Mitmenschlichkeit. Deutschland ist wahrlich nicht das Land mit den meisten Geflüchteten pro Einwohner. Sicher, es gibt reale praktische Überforderung, es gibt die brutalen Attentate, und die Illusion einer total gesicherten Gesellschaft, die wiederum durch Angst und Feindbilder verschärft wird. 

Unser Gesundheitsminister Lauterbach hat unlängst eine Studie vorgestellt, wonach 30 % der Geflüchteten psychisch krank sind. Die AfD macht daraus gleich, dass 30 % gewalttätig sind. Wie immer solche Zahlen zustande kommen – verschwiegen wurde in diesem Zusammenhang, dass auch 27,8 % der deutschen Erwachsenen unter psychischen Erkrankungen leiden. Sind sie auch alle gewalttätig? In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich? Wir müssen aufhören, von uns und denen zu reden, sondern die gegenseitigen Überlastungen und den Kontrollverlust gemeinsam angehen. 

Man wird das Migrationsproblem nicht lösen können, wenn man nicht ganz grundsätzlich eine gerechtere Ordnung im Land und in der Welt anstrebt. Letztlich ist eine konsequente Friedenspolitik das sicherste Mittel, keinen Grund für den mit Abstand häufigsten und schrecklichsten Auslöser von Migration zu geben- für Kriegsflüchtlinge. 

Und damit schließt sich für mich der Kreis, weshalb die offensive Stimme des BSW trotz mancher Meinungsverschiedenheit im Detail, im Parlament keinesfalls fehlen sollte. Das wäre sehr viel ärmer ohne die offensiven Redebeiträge von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern. Dieser Bundestag braucht jede Stimme, die sich für Vernunft, also ein Ende des Rüstungswahns, wirkliche Entspannung, Diplomatie, eine weltweite Friedensordnung einsetzt; für kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, und steuerliche Umverteilung zugunsten der Benachteiligten. In diesem Sinne – treffen Sie eine gute Wahl. 

 PS. Meine Parteitags-Rede von vor einem Jahr beschloss ich mit der Hoffnung, dass zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in diesem Jahr, unser Land und unser Europa zur Vernunft gekommen sind. In Auschwitz fand eine große, bewegende Gedenkfeier statt, wohl letztmalig mit Überlebenden des Lagers. Präsident Selenskyj war geladen, aber offensichtlich kein russischer Angehöriger der Roten Armee oder deren Nachkommen. Was immer inzwischen geschehen ist, die gebotene Dankbarkeit gegenüber den damaligen Befreiern, die selbst in diesem Kampf noch etwa 230 sowjetische Soldaten verloren, darf nicht tagespolitischen und geschichtsrevisionistischen Erwägungen überlassen bleiben. Auch dafür bedarf es Stimmen im Parlament.

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