Meinungen über Bücher

224 Seiten Taschenbuch € 8,90 ISBN 3-499-61458-8
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Taschenbuch
€ 8,90
ISBN 3-499-61458-8

Meinungen über Bücher
WDR 3: Daniela Dahn – Wenn und Aber Anstiftungen zum Widerspruch Sendedatum: 18. September 2003

von Gabriele Gillen

Kriege, sagt Gottfried Benn, beginnen nach den fürchterlichen Zerstörungen an den Stammtischen. Und schon lange ist auch in der veröffentlichten, gerade in der als „kritisch” deklarierten Meinung, dieser Vorkriegszustand diffus spürbar – gegen Ausländer und Linke, gegen andere Religionen, gegen andere, wirklich kritische Intellektuelle… (Abweichungen sind unerwünscht und je mehr der Status Quo, je mehr das Wohlstand verheißende Wirtschaftssystem seine Verheißungen nicht mehr erfüllen kann, desto stärker werden Abweichungen bekämpft. Und desto weniger ist Kritik gewünscht.) Zwar wird mit einer Liberalität kokettiert, die eine „abweichende Meinung” geradezu braucht, aber in Wirklichkeit haben die nun schon gewohnheitsmäßige neue Geistfeindlichkeit und ein undurchsichtiger Wandel des politischen Klimas seit 1989 der Anpassung und dem Opportunismus nur ein neues Gesicht verpasst: Die „abweichende Meinung” trägt eine Funktionsmaske.
Der kritische Diskurs dagegen existiert nicht mehr. Jedenfalls nicht in seiner notwendigsten Funktion – als Infragestellung der Grundprinzipien gesellschaftlicher Organisation.

Daniela Dahn, Publizistin und Schriftstellerin und von Egon Bahr als „eine der wichtigsten deutschen Stimmen aus dem Osten“ bezeichnet, hat dies alles auf der eigenen Haut gespürt. Ob beim Streit um die Frage, ob sie Verfassungsrichterin in Brandenburg werden darf, im Jahre 1998, Oder bei den Auseinandersetzungen rund um die an sie verliehene Louise Schroeder-Medaille noch in diesem Jahr. – Daniela Dahn ist ein excellentes Beispiel dafür, wie gerne radikaldemokratisches Engagement als Totalitarismus verdächtigt und denunziert wird. Ob SPD in Brandenburg oder CDU in Berlin – die Fragen und Beobachtungen von Daniela Dahn scheinen für viele unerträglich. Ihre Versuche, das bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Bild der DDR zu versachlichen, oder ihre Fragen nach der Demokratiefähigkeit des Kapitalismus.
Kein Wunder auch, dass Daniela Dahns Bücher zwar hohe Auflagen haben, sie als Autorin in den angeblich kritischen Feuilletons jedoch nur selten zu finden ist. Ihr Widerspruchsgeist, ihre systemkritischen Fragen, ihr „bedenkendes Verhältnis zum Eigentum” und ihre Zivilcourage passen wohl nicht in die publizistische Landschaft der „Verjahung“, wie es Roger Willemsen mal genannt hat, in das Verbellen durch Anpassung – ganz ohne Frage die gefährlichste Form, unschädlich zu sein.
In ihrem neusten Buch „Wenn und Aber – Anstiftungen zum Widerspruch” finden wir nicht nur kritische Essays und literarische Reden Daniela Dahns zu Deutschland und zum deutschen Vereinigungsprozess, sondern auch Erkundungen auf globalem Terrain. Wem gehört die Welt? Was darf Krieg. Brauchen wir eine Globalisierung der Demokratie? In der Mainstream-Publizistik der Gegenwart sind wir gewohnt, dass alles das, was die Wirtschaft auch ohne einen selbst durchsetzen würde, in der Tonlage des Durchblickers als Ergebnis differenzierten Nachdenkens ausgegeben wird. Daniela Dahn dagegen mischt sich ein und verteidigt auch in der Sozialpolitik die gleiche Freiheit für alle.
(Zwischen Mittelstand und den sogenannten politischen Eliten, im Bauch dieser Gesellschaft also, drängt sich gar nichts nach Veränderungen, nach Infragestellungen, nach der Erschütterung von gewohnten Fundamenten. Weder in der Politik, noch unter den meisten publizistisch Tätigen. Daniela Dahn hält das im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus.)
Sie ist weit entfernt vom attrappenhaften Ernst der Leitartikel, die häufig vergessen machen sollen, dassfür nichts geredet wird, wo gegen nichts geredet wird. Daniela Dahn mischt sich ein. „Kritisieren heißt”, schreibt sie, „sich verantwortlich fühlen. Gerade wenn wir bereit sind, die permanenten Unzulänglichkeit als den Zustand anzunehmen, der uns gegeben ist, sollten wir nicht so tun, als wäre das nichts. (…) Wer nie versucht hat, sich einzumischen, soll nicht behaupten, es ginge nicht.”
Daniela Dahn wagt sich an die radikale Erörterung politischer Voraussetzungen. Ihre Texte über Demokratie oder globale Wirtschaft, über Geschichte und Krieg, über Frieden und Terrorismus, über Gleichheit und Demokratie, sind hochaktuell und wunderbar altmodisch, weil sie nie zynisch sind. Nie beliebig. Nie im Generation-Golf-Trend. Sie sind Sauerstoff für den Denkapparat und deshalb eben für uns notwendige Anstiftung zum Widerstand. Denn der beginnt schließlich mit dem Denken.