Buchvorstellung: Daniela Dahn: „Wehe dem Sieger“ Ohne Osten kein Westen WDR 25.5.09

Karin Ney
WDR 5 / SCALA 25.5.09
Redaktion: Sefa Suvak

Sprecherin
Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Berliner Buchpremiere in der Literaturwerkstatt der „Kulturbrauerei“ in Prenzlauer Berg hängt im Fenster das Schild: “Ausverkauft“, alle Plätze besetzt und vor der Tür drängelt sich noch eine Menge interessierter Besucher. Um sie nicht zu enttäuschen, dürfen schließlich alle herein, die bereit sind zu stehen oder auf der Erde zu sitzen. – Im Publikum vor allem die Generation 50 plus und junge Gesichter.
Auf dem Podium die Autorin und der SPD – Politiker und Publizist Egon Bahr, der das Buch vorstellt. – Egon Bahr hatte gemeinsam mit Willi Brandt zu Beginn der 60-ziger Jahre die Grundgedanken einer „Neuen Ostpolitik“ entwickelt, die den Weg des Kalten Krieges verließ und an seine Stelle das Prinzip: „Wandel durch Annäherung“ setzten.
Zunächst stellt Egon Bahr fest: Dieses Buch kommt genau zur rechten Zeit ! Mitten in der Krise, wo nicht nur Politiker aufgefordert sind Fragen zu stellen, Alternativen zu prüfen, die wieder heraus führen könnten – aus der globalen Finanzkrise. – Und hier ist ein Buch, das sich einmischt, präzise recherchiert, unangepaßt und streitbar.
Daniela Dahns persönliches Motto: Es ist ein Buch des Zweifels, mein Bilanzbuch und der bescheidene Versuch, die Geschichte seit dem Untergang des Sozialismus noch einmal anders zu erzählen. – An diesem Punkt protestiert Egon Bahr, nennt die Autorin eine Tiefstaplerin und ihr Buch eine „harte Kost“.

O-Ton Daniela Dahn
Es ist ja kein neues Buch über 1989, wie es jetzt viele gibt. Es ist auch kein Buch über die DDR. Es ist auch in diesem Sinn kein Ost/West-Buch… Ich hab einen anderen Ansatz gewählt, die Geschichte dieser letzten zwanzig Jahre noch einmal neu zu erzählen. Nämlich zu bedenken, ob diese beiden Systeme: Sozialismus, man kann auch den Bahro-schen Begriff: PseudoSozialismus sagen, – Kapitalismus nicht zwei vollkommen aufeinander eingespielte Systeme waren, die sich bekämpft und gestützt hatten. Die eine gemeinsame Statik hatten, in gewisser Weise an einer Nabelschnur hingen.

Sprecherin
Daniela Dahn beginnt das zweite Kapitel mit der Überschrift: „Vom Verlierer nicht lernen, heißt verlieren lernen“.
Sie analysiert, beschreibt und vergleicht die Beziehung zwischen der Bundesrepublik und der DDR seit der Gründung beider deutscher Staaten 1949 und vor allem die Entwicklung im Osten und Westen Deutschlands seit 1989.
Sie fragt nach bei jedem Punkt, zweifelt, wechselt die Perspektive und stellt Fragen, die so bisher nicht gestellt wurden, die herausfordern zum Weiterdenken, zur gemeinsamen Suche nach Antworten. – Daniela Dahn will nicht Recht haben. Aber sie verstört mit ihren Thesen, weil die vermeintlichen „Sieger“ in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten mit anderen Sichtweisen nicht belästigt werden wollten.

O-Ton Daniela Dahn
Es ist ja doch auffällig, daß die „Soziale Marktwirtschaft“ sich erst entwickeln konnte mit dem Entstehen des sozialistischen Weltsystems und just mit deren Untergang wieder zusammenbrach. Also finde ich die Frage zumindest bedenkenswert, ob diese kapitalistische Gesellschaft aus sich heraus überhaupt Kräfte hat, das Destruktive in ihr zu bändigen? – Oder ob das nicht die andere Seite übernommen hat, mit deren Wegbrechen diese Art von Kapitalismus los gezogen ist, wie wir ihn nun erleben?

Sprecherin
„Der Westen hat seine Beute verloren“, „Der Westen hat praktisch Erprobtes verloren“ , „Der Westen könnte die Demokratie verlieren“, „Der Westen hat Alternativen gewonnen“. – Vor jedes Kapitel stellt die Autorin eine provozierende These.
Wer erinnert sich noch? – Schon 1990, umittelbar nach dem Zusammenbruch des Sozialistischen Lagers hatte der Großindustrielle George Soros resümiert und gewarnt: Der Kapitalismus geht ebenfalls zugrunde – wenn er nicht reformfähig bleibt! – Da lag die Krise noch in ferner Zukunft.
Umfragen ergeben, daß sich heute jeder vierte Westdeutsche als Verlierer der Einheit fühlt und die Mauer wieder haben möchte. Und ein Großteil der Ostdeutschen sieht sich nach wie vor als Bürger zweiter Klasse.
Daniela Dahn weist mit einem Aishylos-Zitat auf ein Problem hin, was seit 1989 den Prozess der deutschen Vereinigung begleitet hat: „Nur wenn die Sieger die Tempel der Besiegten achten – dann vielleicht – erliegen sie nicht dem eigenen Sieg“
O-Ton Daniela Dahn Insofern fand ich eben die Frage nicht hinreichend beantwortet: Warum hat dieses siegreiche System in dem Moment, wo die Unfreiheit auf der anderen Seite besiegt ist, angefangen, die eigene Freiheit abzubauen? Warum hat, als die Konkurrenz des anderen Systems wegbrach … nicht die frei werdenden Mittel ein Aufblühen des Lebensstandards, ein Festigen der Demokratie mit sich gebracht? – Ganz im Gegenteil, beides wird abgebaut, der Sozialstaat ist bedroht, die Demokratie wird verramscht, die Rendite vergoldet… Die Frage ist also eigentlich: Warum konnte der Sieger mit seinem Sieg nichts anfangen? – Und ich beschreibe in diesem Buch eben, wie die „Tempel der Besiegten“ mißachtet wurden.

Sprecherin
Dabei landeten die Erfahrungen der Ostdeutschen, gewonnen in vierzig Jahren deutscher Teilung, Diktatur und „Pseudo-Sozialismus“, scheinbar wertlos, ohne Umstände auf dem „Müllhaufen“ der Geschichte.

Als es in der überfüllten Literaturwerkstatt viel zu warm geworden ist und die Luft immer knapper, beantworten Daniela Dahn und Egon Bahr immer noch Fragen aus dem Publikum.